Auf den Kanarischen Inseln war die gesellschaftliche Entwicklung ähnlich verlaufen wie in Kontinentalspanien: Im Einzugsbereich der großen Häfen von Las Palmas (Gran Canaria) und Santa Cruz (Teneriffa), die sich zu Dienstleistungszentren erster Ordnung für den internationalen Schiffsverkehr entwickelt hatten, begann eine vorsichtige Industrialisierung. Es entstanden qualifizierte Reparatur-Reedereien, die selbst größere Schäden an durchreisenden Dampfern ausbessern konnten.
Auf Teneriffa beschäftigten die Tabak-Industrie und die moderne Agrar-Industrie (Bananen, Tomaten, Frühkartoffeln) einige tausend Arbeiter, die etwas mehr können mussten, als nur die azada, die traditionelle Grabhacke schwingen.
Selbst auf La Gomera hatte es seit ungefähr der Jahrhundertwende einige moderne, industrielle Entwicklungen gegeben. Während im Norden der Insel die auf Plantagen produzierten landwirtschaftlichen Produkte mithilfe imposanter pescantes (Kranausleger) für den Export nach Nordeuropa (vor allem England) verschifft wurden,
arbeiteten im Süden der Insel hunderte Gomeros und Gomeras in diversen Fischkonservenfarbriken (La Rajita, La Cantera, Playa de Santiago).
Der kanarische Unternehmer Álvaro Rodríguez López und die norwegische Reederfamilie Olsen errichteten bei Playa de Santiago in einem ländlichen Umfeld, in dem bisher nur das paternalistisch-feudalistische System bekannt war, riesige künstlich bewässerte Plantagen, auf denen Hunderte von landlosen Gomeros Arbeit fanden.
Nach dem Abflauen der Weltwirtschaftkrise und einigen gescheiterten diktatorischen Regierungen fanden 1931 Gemeindewahlen in Spanien statt, deren Ergebnis als klares Votum gegen das überkommene System gewertet wurde. Selbst König Alfons XIII akzeptierte das Wahlergebnis als Votum gegen die Monarchie und verließ das Land, und Alcalá Zamora proklamierte am 14. April 1931 die neue, die "zweite Republik", vom Großteil der Bevölkerung überschwänglich begrüßt, erhoffte man sich doch endlich demokratische Verhältnisse.
Auf La Gomera erbrachten die Gemeindewahlen von 1931 noch fast eine Dreiviertelmehrheit für die Monarchisten und die sie unterstützenden Unabhängigen. Offensichtlich waren 1931 die gesellschaftlichen Umwälzungen Spaniens auf "unserer" kleinen Kanareninsel noch nicht so recht angekommen, wo der überwiegende Teil der Bevölkerung noch "auf dem tiefen Land" lebte, was einen sozialen und kulturellen Rückstand von durchaus etwa hundert Jahren bedeuteten konnte. Viele der Kleinbauern, Pächter, Hirten oder Landarbeiter kamen in ihrem Leben nur selten aus ihrem Dorf heraus, und viele in ihrem ganzen Leben nur ein oder zweimal oder auch nie bis in die Inselhauptstadt San Sebastián, obwohl diese nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt lag.
Im Inneren der Insel trottete man über die alten caminos reales, an den Küsten ruderte man von Bucht zu Bucht. Auf der Grafeninsel La Gomera (wie den ehemaligen islas de señorío El Hierro, Lanzarote und Fuerteventura) waren erst einhundert Jahre zuvor (1836) die mittelalterlichen Sonderrechte der Feudalherren zugunsten des spanischen Zentralstaats abgeschafft worden, was aber an der Lebensrealität der Gomeros kaum etwas geändert hatte. Die Umstrukturierung der Besitzverhältnisse hatte auf la Gomera nämlich überwiegend zugunsten der jetzt bürgerlichen Schicht der Großgrundbesitzer stattgefunden, die hier noch heute mit einem lateinamerikanischen Wort cacique (ursprünglich Indio-Häuptling) genannt werden.
In den Jahren nach Ausrufung der "zweiten Republik" 1931 fand in Spanien ein turbulenter Durchbruch in die Moderne statt. Längst überfällige Reformen wurde eingeleitet, zum Beispiel eine Bildungsreform (bei 42 Prozent Analphabeten in Spanien!), eine Landreform und einiges mehr, doch bereits dies ging den alten Herren- und Großgrundbesitzerkasten zu schnell und zu weit. Den Industriearbeitern und Angestellten in Spanien ging es aber nicht schnell und nicht weit genug. Die anarchistischen und sozialistischen Gewerkschaften reizten mit zahllosen chaotischen Streiks, Aufständen und dem Niederbrennen von Klöstern und Kirchen (der reaktionäre Klerus war unter der aufstrebenden Kleinbourgeoisie und Arbeiterschaft zutiefst verhasst) das soziale und politische Klima. Am Horizont drohte die kommunistische Weltrevolution, vertreten durch die Sowjetunion. Für die konservative spanische Oberklasse schien das Ende der Welt nahe (ihrer Welt, versteht sich).
Auch auf La Gomera verschärfte sich in den ersten Jahren der "zweiten Republik" die politische Polarisierung. In den Dörfern des Inselnordens (Vallehermoso, Agulo, Hermigua) residierten die Großgrundbesitzer, deren Herrschaft auch während der zweiten Republik nicht angetastet wurde und die ihre politische und gesellschaftliche Macht partout nicht mit dem populacho (Pöbel) teilen wollte. Auf der anderen Seite organisierten sich die Landarbeiter, unter denen es recht starke sozialistische und kommunistische Tendenzen gab. Bei den Gemeindewahlen 1933 ergaben sich erstmals in San Sebastián und Vallehermoso sozialistische Mehrheiten, die linken Gemeindeparlamente und Bürgermeister wurden aber schon 1934 durch "Regierungsdelegierte" abgelöst.
In der Gemeinde Agulo kam es während der republikanischen Zeit zu Sabotageakten an Landgütern und zu Landbesetzungen. Es gab Federaciones Obreras (Gewerkschaften) in San Sebastián, Vallehermoso, Agulo und Hermigua (450 Mitglieder).
Am 22. März 1933 kam es in Hermigua zu einem blutigen Konflikt, der unter dem Begriff Los Sucesos de Hermigua in die Inselgeschichte einging:
Seit Juli 1932 waren die Bauarbeiten an der Carretera del Norte, der Nordstraße der Insel, die einmal San Sebastián mit Vallehermoso verbinden sollte, eingestellt.
Grund des Baustopps war die Weigerung der Caciquen von Hermigua, gewerkschaftlich Organisierte für die Bauarbeiten einzustellen. 500 Arbeiter (20 Prozent der Bevölkerung Hermiguas) waren auf diese Weise arbeitslos geworden. Die Wiedereinstellung von Arbeitern war blockiert durch den Konflikt zwischen den Federaciones Obreras (Gewerkschaften), die - gestützt auf eine Order der Provinzregierung - 100 Arbeiter ihrer Wahl in Arbeit bringen wollten, und der Unternehmerseite, die weiterhin nur gewerkschaftlich nicht organisierte Arbeiter akzeptieren wollte. Daraufhin organisierten die Gewerkschaften für den 22. März 1933 einen Generalstreik und einen kleinen Demonstrationsmarsch. Der Polizeihauptmann, der zwei nach Agulo abgeordnete Polizisten als Verstärkung holte, wurde bei der Rückkehr mit Steinwürfen und Stöcken bedroht, gab Schießbefehl und wurde daraufhin, zusammen mit einem der beiden Polizisten, von der aufgebrachten Menge aus dem Lastwagen gezerrt und umgebracht. Durch die Schüsse der Polizei starb einer der Arbeiter, die den Polizeihauptmann umgebracht hatten. Die Unruhen endeten mit 35 Verhaftungen.
Über ein Jahr warteten die politischen Gefangenene auf das Urteil (13. Juli 1934).
Das Kriegsgericht verhängte für fünf Beteiligte die Todesstrafe und verurteilte neun der Angeklagten zu Gefängnisstrafen zwischen zwei und zwanzig Jahren. Die Todesstrafen wurden zunächst in Haftstrafen umgewandelt, und am 23. Februar 1936 nach dem Wahlsieg der Volksfront wurde sogar eine Amnestie für die politischen Verurteilten der März-Unruhen in Hermigua erlassen.
Doch zwölf der in diesem Prozess als Kommunisten gebrandmarkten Personen, darunter die fünf mit Todesurteilen belegten, wurden nach dem faschistischen Putsch von den Mordkommandos der Falange in nächtlichen Razzien verschleppt und umgebracht.
So beginnt der überaus sehenswerte, auf La Gomera spielende Film Guarapo (1988), der an die Sucesos de Hermigua anknüpft, mit einer grausamen Szene, in der ein gefesselter Verschleppter in einem zugebundenen Sack über Bord geworfen wird und langsam im Meer versinkt.
Carlos Müller: Die Kanarischen Inseln – Reisen durch die Zeit, Dreves Verlag Celle, 2005 (ISBN 3-936269-39-4)
Cabildo Insular, Adam Reifenberger: Gomera-Handbuch – offizieller Inselführer, Stein-Verlag Kronshagen, 7. Aufl. 1995 (ISBN 3-89392-228-8)